Als Selbständiger oder Freiberufler Bürgergeld beantragen (Aufstockung) – 7 Tipps und Hinweise (2. Teil)

Hürdenläufer

Wer sich als geschäftlich tätiger Selbständiger oder Freiberufler mit geringem Einkommen durchgerungen hat, Bürgergeld zu beantragen (Aufstockung), steht zunächst vor vielen, vielen Hürden. Um bei diesem Bild zu bleiben, also beim Hürdenlauf, sei vorweg gesagt (und ich spreche hier aus eigenen Erfahrungen), dass es bei der Bürgergeld-Beantragung ähnlich wie beim sportlichen Wettbewerb ist.

Erstens: Man benötigt im Vorfeld ein gutes Training.
Zweitens: Man muss die Regeln kennen.
Drittens: Man sollte sich an die Regeln halten. Wenn du also ohne Vorbereitung die Sportarena betrittst und auf die Bahnen der „Mitbewerber“ schaust, wirst du anfangs denken: „ach ja – so kompliziert ist das doch gar nicht und so hoch sind die Hindernisse doch gar nicht gehängt.“ Dann rennst du also auch gleich los und wirst ganz sicher auch ganz schnell ganz merkwürdige negative Erfahrungen machen.

Es könnte nämlich so sein, dass es dir bei der Erstbetrachtung so erschien ist, dass die Barrieren von den Antragstellern mit leichten Hüpfern überwunden werden könnten – und der Eine oder Andre auch mal herüber-gehoben wird. Naja, du bist es ja auch gewohnt, dass in unserer Gesellschaft jeder jedem unter die Arme greift, wenn er in Not ist.

Jedenfalls, wenn du nun auf deiner Rennstrecke die erste Hürde genommen hast (dich selbst zu überwinden und einen Antrag beim Jobcenter zu stellen) und spurtest um die erste Kurve, kommt das erste Schockerlebnis. Auf deiner Strecke sind die Hindernisse doppelt so hoch gestellt, wie vielleicht doch zu flüchtig beobachtet und du rennst gleich im ersten Anlauf voll durch die zweite Sperre hindurch. Und das ist sehr schmerzhaft. In Wirklichkeit ist es die Erkenntnis, dass es in unserer Gesellschaft Bereiche gibt, bei denen es nicht selbstverständlich ist, dass jedem x-beliebigen Hilfsbedürftigen unter die Arme gegriffen wird. Das ist durchaus ein schmerzhaftes Schockerlebnis, zumal, wenn man der Illusion nachhing, sich als emsiger Abgaben- und Steuerzahler eine gewisse Achtung vor den staatlichen Hilfs-Institutionen erworben zu haben.

Bevor ich zu meinen nützlichen Erfahrungen, Tipps und Hinweisen komme, ganz kurz zu meinem eigenen desillusionierenden Erlebnis beim Jobcenter. Kurz gesagt, bekam ich anfangs zwei Briefe. Ein Schreiben – sagen wir auf Freitag datiert – zur Abgabe von Unterlagen. Der zweite Brief für den Mittwoch zuvor, mit einem persönlichen Termin im Jobcenter. Hier freundlich empfangen wurde mir geholfen einen Antrag auszufüllen und es wurde ein neuer Abgabetermin handschriftlich für die Antrags- und Unterlagen-Abgabe gegeben – sagen wir für eine Woche später, was ich natürlich überpünktlich einhielt. Vierzehen Tage darnach ereilte mich dann aber ein Schreiben von der Jobcenter-Agentur mit der vielsagenden Überschrift „Versagung von Leistungen“ (damit waren alle beantragten Leistungen gemeint). Man bezog sich hierbei auf den zuerst gesetzten Termin für die Abgabe der Unterlagen, wobei ich mich selbstverständlich auf den geänderten, zweiten verlassen hatte. Für solch ein schweres Vergehen werden also sofort alle Leistungen versagt. Das sollte man wissen. So weit so gut. Irritationen können immer geschehen. Ich legte Widerspruch ein. Das wurde bestätigt. Dann jedoch: Schweigen im Walde. Was ich bis dato nicht wusste: Die Jobcenter-Agentur darf sich nun drei Monate Zeit lassen, über den Widerspruch zu befinden. Und sie lässt sich dafür drei Monate Zeit. Nach meinen jetzigen Recherchen ist das offensichtlich allzu häufig, dass prinzipiell „der erste Antrag immer abgelehnt“ wird. [1]
In der Praxis heißt das Zeitverzögerung. Um davon eine Vorstellung zu bekommen möchte ich erwähnen, das ich im März bemerkte, dass mein Geschäftskonto im Minus stand. Somit  stellte ich (mit bestens geordneten Unterlagen) noch im gleichen Monat den Antrag. Mit der folgenden Versagung und dem Widerspruch lag dann quasi der nächste Bearbeitungstermin meiner Unterlagen bei Mitte September. Und nun gleich noch mal eine interessante Information vorweg (Hinweis Nr. 1): Mein (alsbald hinzugezogener) Rechtsanwalt meinte, wenn die „Behörde“ in diesen drei Monaten z.B. weitere Unterlagen zur Beurteilung des Problems einfordert, dann verschiebt sich die dreimonatige Bearbeitungsfrist wiederum um drei Monate. Und wenn dann die Jobcenter-Agentur nicht tätig geworden ist (was scheinbar oft so der Fall ist) dann sollte (möglichst von einem Anwaltsbüro ausgehend) eine sogenannte Untätigkeitsklage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden.
In der Regel stellt das Sozialgericht für den „Selbermacher“ Vordrucke für diesen Vorgang zur Verfügung und bei Rücksprache mit dieser Stelle, stellte ich mit einiger Verwunderung fest, dass von solchen Untätigkeitsklagen doch sehr oft Gebrauch gemacht wird. Bereits diese wenigen Tatsachen zeigen uns, dass es sich bei einer Bürgergeld-Beantragung um einen langen hürdenreichen Lauf handeln kann. [2]

Mit diesen wenigen, einleitenden Geschichtchen möchte ich dich, lieber Leser und liebe Leserin, prinzipiell schon darauf einstimmen, dass der Antrag auf Bürgergeld-Aufstockung tatsächlich zu einem sportlichen Ereignis werden kann und in der Regel auch wird. Ich sehe nun aber, dass auf dieser meiner Infoseite schon reichlich Tinte verschrieben ist und so ein Text sollte ja nicht ins Endlose gehen. Und so möchte ich aber zum Schluss noch ein paar brauchbare wichtige Tipps für den Selbständigen oder Freiberufler geben, der sich für die besagte Bürgergeld-Aufstockung entschieden hat.

Erste wichtige Tipps

Überwindung der psychologischen Schranken

In den Kreisen der berufstätigen Bürger, also der Arbeiter, Angestellten, Selbständigen, der Unternehmer und der Freiberufler gilt es nicht gerade als sexy Hartz4 oder Bürgergeld zu beantragen. Ich bin mir aber sicher, dass mindestens die Hälfte der Bürger, die Anspruch darauf hätte (besonders bei den Selbständigen) diesen nicht wahrnimmt. Merkwürdig erscheint mir nur, wenn von Seiten des Finanzamts gesetzliche Forderungen erhoben werden, Steuern zu zahlen, dann steht der Bürger stramm. Und der Staat fordert in jedem Falle seine Ansprüche ein. Nicht umsonst heißt es: „Zwei Dinge auf Erden sind uns ganz sicher: der Tod und die Steuer“ (so Benjamin Franklin).
Wenn aber der Bürger seine gesetzlichen Ansprüche gegenüber Staat und Gesellschaft einfordert – wie zum Beispiel einen bescheidenen Bürgergeld-Zuschuss – werden ihm die Knie weich und er leistet Verzicht.

Vielleicht ist das aber auch gut so, Verzicht zu leisten, denn so bleibt für die Großkonzerne mehr Geld für Subventionen übrig. So soll z.B. die Intel Corporation (Silicon Valley) 2023 für eine eigene 30-Milliarden-Investition in Magdeburg vom deutschen Staat 10 Milliarden Euro Steuergelder erhalten. [3]
Konkret heißt das, dass Intel dann für 3.000 neue Arbeitsplätze drei Millionen Euro pro Arbeitsplatz „Aufstockung“ erhält. Also lieber Bürger und lieber Selbständiger: Bitte leiste wenigstens du Verzicht! (Das ist mein
Hinweis Nr. 2)

Rechtzeitig handeln

Den folgenden weiteren Tipp (Hinweis Nr. 3) kann ich nicht oft genug wiederholen:

  1. Reiche so frühzeitig wie möglich deinen Antrag ein.
  2. Beantrage ohne zu zögern deinen Bürgergeld-Anspruch.
  3. Stelle deine gesetzlichen Forderungen zuerst mit dem ausgefüllten „Hauptantrag“ und reiche Unterlagen später nach, doch mache es bald!

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass bei dieser Antragstellung eine weitere psychologische Hürde gegeben ist. In unserer Bevölkerung besteht oft die Ansicht, dass es erniedrigend sei, gegenüber dem Jobcenter finanzielle und persönliche Daten offen zulegen. Hier sei mir wiederum der Hinweis auf dein Verhalten gegenüber dem Finanzamt gestattet. Dort ist es Usus, wenn finanzielle Daten eingesehen werden. Und wer da glaubt, dass dieses nur den geschäftlichen Bereich betrifft, der könnte sich durchaus irren. Seit 2005 gibt es bekanntlich ein „Kontenabrufersuchen“, bei dem private Konten, Depots und Schließfächer unserer Kreditinstitute von verschiedensten Institutionen stillschweigend gecheckt werden dürfen (§ 24c Kreditwesengesetz – KWG). Im Jahre 2005 gab es 8.700 solcher Abfragen. 2021 waren es 1.140.580. [4] Hat dich diese Tatsache bisher bedeutend gestört? Wenn nicht, dann lege halt deine Konten doch besser selber offen.
Hierzu möchte ich wiederum einen nützlichen Tipp geben (Hinweis Nr. 4) und der bezieht sich darauf, bei der besagten Gelegenheit zu checken, ob es nicht sinnvoll ist, die Zahl der eigenen Konten, Depots, Bezahlsysteme usw. auf ein überschaubares und effizientes Minimum zu reduzieren. Meist hat man als Selbständiger viel zu viel davon. Im gleichen Zuge werden wir bemerken, wenn wir z.B. die Kontoauszüge der letzten sechs Monate abgeben müssen, dass sich diese Auszüge in ihrem Umfang massiv verschlanken würden, wenn wir doch wieder mehr oder ausschließlich bar bezahlen – zumindest dort, wo es leicht möglich ist. Das sei mein Hinweis Nr. 5.

Reagiere sofort, bitte um Fristverlängerung und reiche Unterlagen nachweisbar ein

Meine einführende eigene Geschichte im Zuge des Erstkontakts mit dem Jobcenter, zeigte bereits, dass jede gesetzte Frist akribisch eingehalten werden und bei Anforderung von Unterlagen auch die Liste der gewünschten Dokumente genauestens abgearbeitet werden sollte. Ist es nicht möglich, einen Nachweis sofort zu bereitzustellen, sollte das in einem separaten Anschreiben kurz (es genügt sehr kurz) erläutert werden. Am Ende folgt dann die Bemerkung: „Ich bitte hiermit um eine Fristverlängerung für die Abgabe dieses Dokuments.“
Ebenso sollten die Einladungen zu einem Gespräch im Jobcenter nie ohne schriftlichen Hinweis ausgeschlagen werden. Diese Tipps sind mein
Hinweis Nr. 6.
Zu guter Letzt sei noch kurz der Hinweis gegeben, dass Unterlagen dem Jobcenter Rechtssicher zugestellt werden sollten. Das war zumindest einer der ersten Hinweise meines Rechtsbeistandes. Im einfachsten Falle geschieht das per E-Mail, bzw. hole dir dazu weitere Informationen ein. Dieser Punkt ist sehr wichtig! (Hinweis Nr. 7).

Diese sieben Tipps und Hinweise sollten vorerst genügen und helfen beim Startschuss auf unserer Hürden-Laufbahn (die Eingangs Erwähnung fand) den Start wenigstens nicht zu vermasseln. Zum erfolgreichen Ziel führen sie uns in vielen Fällen leider noch nicht.

Bürgergeld (1. Teil) Weitere Anfänger-Tipps in Sachen Jobcenter und Arbeitsamt findest du hier >>

Bürgergeld (3. Teil): Wenn es Schwierigkeiten gibt, Protokolle schreiben >>


Manfred Morgenstern, Juli 2023
Der oben stehende Beitrag ist journalistischer Natur und sehr gut recherchiert, doch gebe ich für nichts Garantien ab. Mir können auch Fehler unterlaufen sein. Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass dieser Text keine juristische, steuerliche oder finanzielle Beratung darstellt; und auch teils satirisch gemeint ist.


[1] „Der erste Antrag wird abgelehnt“ siehe Video: https://www.youtube.com/watch?v=o7NndcjsQdQ&t=515s
[2] Ein aufmunternder Hinweis von meinem Rechtsanwalt: Wenn irgendwann mal alles durch ist, dann „läuft alles etwas in etwas ruhigeren Bahnen.“
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/intel-magdeburg-subventionen-experte-100.html
[4] https://www.buhl.de/steuer/ratgeber/kontenabruf/
ein gutes allgemeines Video: https://www.youtube.com/watch?v=YaO4Npy5t7U&t=1s „Regeln zum Umgang mit Jobcenter/Behörden: Tipps von Rechtsanwalt Kinder Wurzen (Sept. 2015)“
Beitragsbild ©2023 Andrea Piacquadio – pexels.com